Grenzverkehr
Im Dorf Bäckern, Königreich Preußen, wohnte unsere Verwandtschaft Familie Karl Wendt.
In Grittel, im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, wohnte der Bauer Heinrich Witt, dazwischen eine Grenze mit Schlagbaum, Wachposten und Zollstation und an einer Grenze – damals wie heute – wird geschmuggelt, so dachte auch Karl Wendt.
Der Bauer Karl Wendt aus Bäckern brauchte für seine Rinderzucht unbedingt Nachwuchs, ein Mutterkalb musste her. Am Markttag in Lenzen traf er den Bauern Witt aus Grittel, die beiden klönten in der Gastwirtschaft bei Bier und Korn, erzählten sich was von ihrer Wirtschaft und schimpften auf die schlechten Zeiten, über die Politik und über die Grenze, die die Dörfer voneinander trennte.
Als sie auf die Rinderzucht zu sprechen kamen, meinte Bauer Wendt: „Du Heinrich, weest du nich een Kalw, ik bruk nörig een Mudderkalw.“
„Dät kannst von mie kriegen, kumm du man nächst Woch röwer noa Grittel, öwer den Pries wärn wi uns schon enig!“
Eine Woche später sagte er zu seiner Frau: „Ick föhr morgen fräu öwert Grenz noah Grittel un hoal dat Kalw von Buur Witt aw, lech mi man de Papiern un dat Geld rut.“
Am nächsten Morgen fuhr er mit seinem Einspänner bei schönstem warmen Frühlingswetter über Eldenburg und Moor der mecklenburgisch-preußischen Grenze zu.
Zwei uniformierte Männer, die mit einem gewaltigen Gewehr bewaffnet waren, postierten sich mürrisch vor dem Schlagbaum, als sie von weitem ein Pferdefuhrwerk ankommen sahen, das sich mühsam durch den tiefen Sand quälte.
„Brr, Brr Lotte“ rief Bauer Wendt seinem Pferd zu, denn der Balken versperrte ihnen den Weg. Die beiden Zöllner rückten ihre Uniform zurecht, nahmen Haltung an und traten an den Wagen: „Haben sie etwas zu verzollen?“ fragte der eine streng.
„Ne, ick will blots moal na Grittel un de Buuer Witt besäuken, hinnen up de Woagen licht man blots een olen Sack.“
Nachdem die Zöllner den Wagen kontrolliert hatten, machten sie den Schlagbaum auf und Bauer Wendt konnte durchfahren. „Na, denn man schönen Dag ok, ik koam bald werrer trüch.“ rief er ihnen zu.
Glücklich in Grittel angekommen, wurde er von den beiden Bauersleuten begrüßt. „Nu koam erst moal rin in´t Kök. Mudder sett man Fröustück up Disch, ick hoal Beer ut´n Keller. Is doch täu döstig Werrer hüt und bi een Sluck kann man sik better wat vertelln.“ So saßen die drei gemütlich in der Küche und erzählten sich von dies und das und über den Preis für das Mutterkalb war man sich rasch einig.
Als Bauer Witt nun das Kalb in den großen Sack stecken wollte, sagte Karl Wendt: Nee, Heinrich, täuw man, du häst doch son schön grooten Schäferhund, den steck du mi man in Sack.“
„Joa, öawer unssern schönen Greif wolln wi di nich verköpen, den beholln wi doch!“ wunderte sich Witt.
„Joa, dät sost du ok. Du sost mi dien Hund man blots utleihn.“
Das konnte der Bauer Witt nun gar nicht begreifen. Aber er ließ sich darauf ein.
Der Hund war nun schon ein älteres gutmüßiges Tier, das sich auch problemlos den Sack über das Fell ziehen ließ. Der Sack wurde zugebunden und mit Hauruck auf den Wagen geladen.
„Ick koam gliksen trüch!“ grinste Wendt und fuhr im Trab vom Hof der Grenze zu.
Es war nun schon fast Mittag geworden, die beiden preußischen Zöllner sahen schon von weitem den Einspänner ankommen und stellten sich wieder in Position um den Schlagbaum zu öffnen. Doch der eine war ein gewissenhafter Beamter, der sah den am Morgen leeren Sack nun gefüllt auf dem Wagen liegen, und der Sack bewegte sich auch noch. Er fragte Wendt: “Haben Sie jetzt was zu verzollen?“
„Nee, hev ick nich. Bi Hunden bruk man joa woll keen Zoll betoalen?“
„Nein, aber was ist denn im Sack wirklich drin?“
„Sech ik doch, de Hund, de ik in Grittel köft hew, loatens man blots de Sack tau, sünst neit mi de Hund werrer aw.“ Erwiderte Karl Wendt.
„Diese Tricks kennen wir schon. Dem wollen wir doch mal auf den Grund gehen, mein Lieber.“
Die Zöllner machten sich nun am Sack zu schaffen, aber als Greif ein bisschen Luft und Freiheit witterte, drängelte er sich raus aus dem Sack, sprang in hohem Bogen runter vom Wagen und lief in den Wald seiner Heimat zu. In Grittel verkroch er sich in der Hundehütte und Vater Witt war glücklich, dass er seinen schönen Hund wieder hatte.
Die zwei Beamten standen verdattert vor dem leeren Sack und sahen dem Flüchtling nach. Bauer Wendt musste sich das Lachen verkneifen und fing nun an zu fluchen und zu schimpfen. Die Zöllner waren gar nicht mehr zackig sondern ganz kleinlaut und verlegen, dass sie dem Bauern so viel Scherereien gemacht hatten.
Karl Wendt drehte sein Gespann um und fuhr grinsend zurück nach Grittel. Als er auf Witts Hof ankam, verkroch sich der Hund noch tiefer in seiner Hütte und dachte sich wohl: „Nun geht das Theater von vorn los und ich will doch kein preußischer Hund werden.“
Wendt und Witt tranken noch ein Bier zusammen und högten sich. Dann steckten sie das Kalb in den Sack und verluden es auf den Wagen. “Tja, denn man tschüs Heinrich. Dütmol koam ik ohn Kontroll öwert Grenz.“
So kam er zum zweiten Mal an die preußische Zollstation, die Zöllner sahen ihn schon von weitem, dienstbeflissen öffneten sie den Schlagbaum, legten die Hand an die Mütze und salutierten sogar. Wendt konnte ohne Kontrolle die Grenze passieren. Er hatte sein Kalb im Sack und ein paar preußische Groschen Zoll gespart. Dass er den preußischen Staat um Zolleinnahmen geprellt hatte, machte ihm keine Kopfschmerzen.
Die beiden Zöllner setzten sich wieder auf die Bank, wischten sich den Schweiß von der Stirn und sagten sich: „War das heute ein verrückter Tag!“

Aus:
Herbert Roost, Lebenserinnerungen
Copyright: Margrit Pump, Wendisch Evern
Einband: Stefanie Pump, Lüneburg
Druck: Dorothea Pump, Klecken
Printed in Wendisch Evern
1. Auflage Weihnachten 2000

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